Der Vater hat während der ganzen Ze

Der Vater hat während der ganzen Zeit keinen Blick von Rolf genom
men. Nun sagt er: « Ich weiß ‚was du denkst. Irgendetwas von dem, was
sie dir erzählt haben, muß ja hängengeblieben sein. Ich hab jetzt aber lei
der keine Zeit, um es gründlich zu widerlegen. Nur soviel: Als junger Mann
habe ich mich für diesen neuen Staat interessiert. Ein Staat ohne Ausbeu
tung sollte die DDR werden, Gleichheit und Brüderlichkeit hatte sie sich
s auf die Fahnen geschrieben. Alles Ideale, für die auch ich mich begeistern
konnte, Aber was ist daraus geworden? Eine Funktionärsclique regiert.
Wer eine andere Meinung hat, wird unterdrückt; wer sie dennoch sagt,
wird eingesperrt. Wir nennen uns demokratisch, sind aber keine Demo
kratie, denn wir können nicht einmal frei wählen. Und das alles nennen sie
‘o auch noch Sozialismus. »
Der Vater drückt seine Zigarette aus und legt den Stummel auf das
Fensterbrett. «Weißt du, was Rosa Luxemburg mal gesagt hat? Freiheit ist
immer die Freiheit des Andersdenkenden! Haben Andersdenkende bei
uns irgendeine Freiheit? Sie haben nur die Freiheit wegzugehen, und die
s nehme ich mir, bevor ich auch die nicht mehr habe.»
Der Vater zündet sich eine neue Zigarette an und macht ein paar tiefe
Züge. Das alles nimmt ihn mehr mit, als er zugeben will.
«Und Mutter?» fragt Rolf leise.
«Mutter bleibt hier», sagt der Vater müde. «Ich habe mir solche Mühe
so gegeben - sie will mich einfach nicht verstehen.»
Wenn die Mutter hierbleibt, heißt das, daß auch er hierbleiben muß.
Niemals würde die Mutter zulassen, daß er mit dem Vater mitgeht. Aber
das heißt dann Abschied vom Vater.
«UncL. wann?»
as Der Vater zögert, dann sagt er, und seine Stimme klingt belegt: «Heu
te noch. Sie schreiben in der letzten Zeit soviel in den Zeitungen .„ im
Westen wie im Osten ‚. drohen sich ständig gegenseitig ... Ich habe wirk
lich Angst, daß es bald nicht mehr geht ...» Er sieht Rolf nachdenklich
an und lacht plötzlich auf. «Weißt du, woran ich heute den ganzen Tag
i denken mußte? An meine Kindheit. Wenn wir ins Hallenbad gingen,
traute ich mich nie, vom Drei-Meter-Brett zu springen. Da rieten mir die
anderen: Mach die Augen zu und spring! Das tat ich dann eines Tages. Ich